Neues aus dem Revier
Jagdtag mit den Behörden 2021
Medienbericht im Sarganserländer
von Redaktor Michael Kohler

Hier der Text:
Was der Weidmann Heimat nennt
An der diesjährigen Behördenjagd im Revier Pardiel haben nicht weniger als 35 Personen teilgenommen. Die örtliche Jagdgesellschaft hat während einer Treibjagd durch den heimischen Forst die Möglichkeit genutzt, den Vertretern von Gemeinden, Kanton und Wirtschaft ihre Riten und Traditionen näherzubringen, ihre Kameradschaft zu demonstrieren und ihre Anliegen gleich persönlich anzubringen.
von Michael Kohler
Es ist einer dieser letzten Oktobertage: zwar kein Niederschlag, weder Regen, noch Schnee, dafür aber starker Wind, der die Kälte unter die Kleidung treibt, den Wintereinbruch im Nacken. Noch vermag die Morgenröte die Dunkelheit des Nachthimmels nicht zu erhellen, als sich die Mitglieder des Jagdreviers Pardiel beim Wasserfall Saschiel in Bad Ragaz einfinden. Alle machen sie von einem unausgesprochenen Kameradengesetz gebrauch: «15 Minuten vor der Zeit ist des Jägers Pünktlichkeit.» Vom 80-jährigen Pensionär bis zum 26-jährigen Benjamin sind sie alle ausgeschlafen und wach – und bereit, ihren Gästen aufzuzeigen, was die Jagd zu ihrer grossen Leidenschaft macht.
Jedes Jahr lädt die Jagdgesellschaft verschiedene Würdenträgerinnen und Amtspersonen zur Behördenjagd ein. Obmann Urs Thomann darf denn auch unter anderem den St. Galler Gesundheitschef Bruno Damann, alt Nationalrat Peter Weigelt, alt Kantonsrat Valentin Rehli, alt Gemeindepräsident Guido Germann und die beiden amtierenden Gemeindepräsidenten Daniel Bühler (Bad Ragaz) und Axel Zimmermann (Pfäfers) begrüssen. Thomann lässt es sich nicht nehmen, alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer persönlich vorzustellen, darunter auch Jagdkollegen aus dem Bündnerland, Regionalförster Thomas Brandes und mit Andreas Zindel (Zindel United) und Remo Bianchi (Käppeli AG) sogar zwei starke Partner aus der Baubranche.
Eine andere Welt
Die meisten Teilnehmenden haben schon mehrere Treibjagden miterlebt und wissen darum, wie der Hase läuft. «Heuer werden nur Jungtiere vom Reh und vom Rotwild geschossen», grenzt Urs Thomann ein. Nach der offiziellen Eröffnung des Jagdtags durch die beiden Jagdhornbläser Hans Peter «Pepa» Komminoth und Amadeus Muoth und einer kurzen Instruktion folgt die Verschiebung zum Ausgangspunkt der Treibjagd beim Ferienlagerhaus Mittelsäss mitten im Jagdgebiet – und damit das Eintauchen in eine doch etwas andere Welt. Eine Welt voller Traditionen und Werte, Bräuche, Riten und Gepflogenheiten.
Und tatsächlich: Ist man in Bad Ragaz noch als Regierungsrat und Gemeindepräsident ins Fahrzeug gestiegen, gibt es später zwischen den Wiesen und Wäldern des Reviers weder Politiker, noch Geschäftsführer, keine Ärzte, Lehrer oder Polizisten. Hier sind für einmal alle Jäger. Weidmänner im Geiste, alle auf Augenhöhe. Und alle mit ein und demselben Ziel: eine erfolgreiche Jagd.
Jäger und Treiber
Begrüsst vom bissigen Föhnwind und den ersten Sonnenstrahlen – es sollten an diesem Tag auch die letzten sein –, werden alle Teilnehmenden in verschiedene Gruppen eingeteilt: Die Treiber durchkämmen in den nächsten drei Stunden den Wald, hetzen allfällige Wildtiere mithilfe von Stockschlägen auf Holz, einer Leuchtweste und Hornsignalen und lotsen sie in die Richtung jener Hoch- oder Ansitze, wo die restlichen Teilnehmenden alleine oder zu zweit lauern.
«Lauern» bedeutet in diesem Fall nicht nur ruhig sitzen und ausharren. Erst wird der für den Jäger ausgewählte Hochsitz aufgesucht, oft teilweise oder ganz zu Fuss, und auf die meist meterhoch über dem Boden in die Baumwipfel gebauten Holzkonstruktionen geklettert – ein Kraftakt. Dann bringt sich der Jäger in Position, richtet sich ein, lädt sein Jagdgewehr. Und er verschafft sich einen ersten Überblick über seinen Beobachtungsraum, wobei zu dieser Jahreszeit wohl nur das geschulte Auge die wenigen verschiedenen Farbtöne zu unterscheiden vermag – braun von braun, grau von grau, schwarz von schwarz.
Auf Du und Du im Jagdrevier
Drei Stunden oder einen gesichteten Gamsbock, eine Rehgeiss, ein Schmaltier und einen Spiesser später läutet das Mittelsäss zum Mittagessen. Die Verantwortlichen des Vereins pro Mittelsäss laden die Jäger während der Behördenjagd zum Mittagessen, im Fachjargon «Mittagaser», ein. Karl Gessinger, Hansjörg Danuser und Philipp Heini verköstigen die Gesellschaft mit einem Hirschgulasch, geschossen von den anwesenden Jägern und während rund vier Stunden auf offenem Feuer niedergegart. Dazu ein Glas Rotwein und ein guter Kaffee, für die einen mit Schuss – die Geselligkeit nimmt unter den Jägern einen enorm hohen Stellenwert ein. Hier ein netter Schwatz, da ein Lacher und schliesslich einige Dankesworte an die Gastgeber, bevor die zweite Tageshälfte in Angriff genommen wird.
«Genau darum geht es bei der Behördenjagd», erklärt Thomann im warmen Stübli des Mittelsäss. «Nicht zwingend um grosse Jagdtrophäen, sondern um die Möglichkeit, sich auf Du und Du auszutauschen. Hier oben sind wir alle gleich, das schafft alleine die Jagd mit ihren Traditionen.» So fänden auch Anliegen der Behörden und des Forsts an die Jäger oder umgekehrt ihren Platz. «Auf Augenhöhe kann man am besten diskutieren. So soll es auch sein.»
Freudiges (Er-)Warten
Keiner der Anwesenden hat bei der ersten Treibjagd am Vormittag etwas geschossen. Zwar sind einigen Jägern Tiere vors Visier gelaufen, haben aber den Anforderungen nicht entsprochen – zur Erinnerung: Nur Jungtiere von Reh und Rotwild sind erlaubt. Oder wie ein Sprichwort unter Jägern lautet: Wer Hirsche jagt, späht nicht auf Hasen. Am Nachmittag soll sich das ändern. Das Prozedere ist dasselbe, die Einteilung und das bejagte Gebiet etwas anders. Also erneut Treiben und Lauern, jedem seine Aufgabe.
Der Föhnwind wird stärker, bis zu 100 Stundenkilometer soll er an diesem Herbsttag erreichen, meint ein Jäger bei der Instruktion zu einem Kameraden. Ganz nach der Jägerweisheit «Wenn der Wind jagt, soll der Jäger zu Hause bleiben» spielt der anrauschende Sturm der Jagdgesellschaft nicht gerade in die Karten. Nicht ein Schuss deutet im Wald darauf hin, dass einer der Jäger Glück zu haben scheint. Das Wild bleibt aus. Eine halbe Stunde vergeht, dann die volle Stunde, dann zwei. «Das Warten gehört nun mal genauso zur Jagd dazu», spricht Juli Thomann, Sohn des Revierobmanns und selber Pächter im Jagdrevier Pardiel, das Offensichtliche aus.
Der grosse Unterschied: Zeit ist fast irrelevant, hat kaum Einfluss und ist beinahe abwesend. Das Warten hat darum nicht diesen fahlen Beigeschmack wie im Alltag. Eher fühlt sich der Blick aus dem Hochsitz wie das Verfolgen eines Films auf der Kinoleinwand an. In jedem Winkel hat der Wald etwas für Augen und Ohren zu bieten, Farben- und Windspiele, die der Herbst malt und der Wind pfeift. Fallende Blätter, wie Goldregen, und tanzende Gräser, wie Orgelpfeifen. Eine breite Geräuschkulisse, vom Ruf des Spechts bis zum Knarren des Unterholzes. Die Sinne sind versorgt mit allen möglichen Eindrücken. Hier hat Warten nichts mit Langeweile zu tun. Es ist eher ein freudiges Erwarten des nächsten Akts auf der Naturleinwand.
«Weidmannsheil!»
Und doch: Vom Wild fehlt auf der Lichtung jede Spur. Nicht einmal Kleintiere lassen sich blicken. Juli Thomann berichtet von einem Insider unter den Pardieler Jägern: «Wenn du ein Eichhörnchen siehst, kannst du die Jagd gleich abbrechen.» Ohne eine Sichtung erklärt der Revierobmann die Treibjagd für beendet und ordert alle Jäger und Treiber zurück zur Ausgangsstelle. Etwas enttäuscht treffen sie nach und nach im Mittelsäss ein.
Der kurze Blick eines älteren Jägers in Richtung Pizol, dicht gefolgt von einem lauten Ruf, ändert die Stimmung abrupt: «Weidmannsheil!» Gesellschaftsmitglied Marcel Kempf aus Bad Ragaz erreicht die Hütte mit einem Rehkitz auf dem Rücken – doch noch ein Treffer. Die Glückwünsche lassen nicht auf sich warten. Auf jeden Handschlag folgt ein Schulterklopfen, auf jedes «Weidmannsheil» ein «Weidmannsdank».
Ein Höhepunkt zum Abschluss
Und damit könnte der Übergang zum allseits geschätzten geselligen Teil des Tags nicht fliessender sein. Die Teilnehmenden der Behördenjagd steuern alle gemeinsam die Jägerhütte «Bahnhöfli» an, wo nach getaner Arbeit ein Apéro wartet und zum Schluss noch einmal das Jagdhorn erklingt. Und damit nicht genug: Die Gäste der Jagdgesellschaft Pardiel sind weiter zu einem Abendessen mit musikalischer Unterhaltung eingeladen. Im benachbarten Maienfeld stellt Gesellschaftsmitglied Max Riederer eigens dafür die Halle seines Unternehmens Riederer Schreinerei und Fensterbau AG zur Verfügung. Zum Einsatz kommen hier auch die Partnerinnen der Jäger: Sie kümmern sich um das leibliche Wohl und verköstigen die Gäste.
Singend und lachend blicken die Jäger und ihre Gäste auf einen – obwohl buchstäblich vom Winde verweht – in jederlei Hinsicht erfolgreichen Tag zurück. Und sie stossen Schulter an Schulter und auf Augenhöhe an, vom Regierungsrat bis zum Benjamin, auf die Einfachheit des Anlasses – der Jagd grösster Trumpf.
Legenden:
Grosse Gruppe mit vielen Gästen: Fast 40 Personen nehmen an der diesjährigen Behördenjagd im Jagdrevier Pardiel teil. Bilder Michael Kohler
Der Hauptverantwortliche: Revierobmann Urs Thomann.
Brunftzeit: Mit dem Feldstecher lässt sich ein Gamsbock beobachten.
Verschiedene Szenarien: Im Ansitz ist man konzentriert, über das Erlegte freut man sich, mit der Jagdhorntradition bricht man nicht.
Grosszügig und gastfreundlich: Die Gastgeber vom Verein pro Mittelsäss.
Der Weg nach oben: Zum Hochsitz wird geklettert.
Angesehener Gast: Regierungsrat Bruno Damann gratuliert Marcel Kempf (Bild links) und lässt sich von Urs Thomann die Region zeigen.
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Zäune - auch ein Hegethema!
Immer wieder verfangen sich Wildtiere in Zäunen und erleiden jährlich zu Hunderten einen qualvollen Tod. Viele dieser Zäune sind überflüssig, insbesondere Stacheldrahtzäune. Auch Flexizäune richten den gleichen Schaden an, wenn sie über den effektiven Gebrauch hinaus stehen gelassen werden.
Das Entfernen von Stacheldraht - in Jahrzehnten eingewachsen - ist eine mühsame Arbeit, aber es ist echter Tierschutz.

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Lebensaufwertungs- und Artenschutzmassnahmen für Wildtiere
Der Kanton St. Gallen kann gemäss seiner Jagdverordnung Beiträge an Massnahmen gewähren, mit denen wildlebende einheimische Säugetiere und Vögel sowie deren Lebensräume gefördert werden.
Die Jagdgesellschaft Pardiel hat dazu drei Projekte eingereicht, die das Amt für Natur, Jagd und Fischerei genehmigt und namhafte finanzielle Beiträge an diese Hegearbeiten gesprochen hat.
Wildacker Matells
Mit der tatkräftigen Unterstützung der Landwirte Röbi Danuser, Gaudenz Thomann und Markus Zindel ist aus dem ehemaligen, jetzt länger brachgelegenen Wildacker eine gepflegte Wiese mit dem wintergrünen Raygras, im Wechsel auch mit Rüben etc. als Nahrungsangebot namentlich für das Rotwild entstanden.
Der Schnee treibt das Rotwild mitunter bis zur Kantonsstrasse und gefährdet damit sich und die Verkehrsteilnehmer. Alljährlich kommt es zu Kollisionsfällen. Das erneuerte Äsungsangebot ist eine der nötigen Massnahmen, das Rotwild von der Nahrungssuche in der Nähe der Kantonsstrasse möglichst abzuhalten.
Obstbäume
Die Jagdgesellschaft Pardiel hat an verschiedenen Standorten Hochstamm-Obstbäume selten gewordener Sorten (Specia rara) gepflanzt und gepflegt. Die Bäume müssen geschnitten und - wenigstens in der Anfgangsphase - als Schutz vor dem Weidegang eingezäunt werden.
Nutzniesser dieser Pflanzungen sind zahlreiche Insekten- und Vogelarten. Insbesondere das Rotwild nimmt die Früchte gerne an, und die Naturfreunde können sich über das aufgewertete Landschaftsbild freuen.
Pflege von Waldrändern und Waldlichtungen
Dieses dritte Projekt im Rahmen der Hegemassnahmen hat zum Ziel, gestufte Waldränder als wertvollen Lebensraum für Flora und Fauna zu erhalten und zu fördern. Zweckdienliche Waldränder bestehen aus dem Krautsaum, dem Strauchgürtel und dem Waldmantel. Sie bieten den Kleinlebewesen, den Vögeln und den wildlebenden Säugetieren Schutz und Nahrung. Die Pflegearbeiten dienen auch dazu, invasiv wachsende Neophyten zurückzudrängen.
Ein weiteres Ziel der Pflegearbeiten ist es, landwirtschaftlich nicht mehr genutzte, ungestörte Waldlichtungen als Äsungsflächen vor dem Verbuschen und Verganden zu schützen. Dazu gehören das Mähen und das Entfernen von Sturmholz. Durch Windwürfe und Überbleibsel von Holzschlägen versperrte Wildwechsel müssen regelmässig geöffnet werden, damit die Wildtiere die Äsungsflächen sicher erreichen können. Gute Äsungsflächen verringern die Verbissschäden im benachbarten Schutzwald.
Die Pflegearbeiten in diesem Projekt werden an sechs Standorten zwischen 600 und 1'325 m ü. M., auf einer Fläche von 13'300 m2 geleistet. Dafür aufgewendet werden jährlich über 250 Mannstunden.